Zweifelhafte Kunst – Wie wollen wir erinnern?
von Jérôme Lenzen & Janine Henn
Wer offenen Auges durch unsere Städte spaziert, passiert regelmäßig liebsamen und weniger geschätzten Überbleibseln der Vergangenheit. Unter Rost, Moos und Patina verbergen sich in Stein und Metall verewigte Erinnerungen an Ereignisse, Persönlichkeiten und Gruppen vergangener Epochen. Solche Denkmäler – zu Englisch Memorials – wurden bewusst aufgestellt, um eine Würdigung zu vollziehen. Sie sollen eine Geschichte erzählen, zumeist ehren sie Werte, die den Aufsteller:innen als besonders relevant für die Gesellschaft erschienen sind: Mut, Tapferkeit, Selbstlosigkeit.
Die Gretchenfrage: Beseitigen oder erhalten?
Oftmals tragen diese Denkmäler auch einen Zeitgeist in sich, der heute nicht mehr unseren Vorstellungen entspricht. Und nicht selten empfinden wir die Botschaft des Denkmals als irritierend, wenn nicht gar beleidigend für Einzelne oder ganze Gruppen. Wenn Denkmäler nicht mehr von Werten erzählen, die in unserer demokratischen Gesellschaft als wichtig wertgeschätzt werden, wenn ihr Kontext rassistisch, antisemitisch oder homophob ist, müssen wir über diese Denkmäler diskutieren.
Beseitigen oder Erhalten? Nicht immer ist die Frage nach dem Umgang mit einem Denkmal einfach zu beantworten. Nicht immer gibt es schwarz und weiß. Nicht immer ist die Beseitigung einer unliebsamen Erinnerung an unsere Vergangenheit der richtige Weg, um unserer heutigen Haltung Ausdruck zu verleihen. Denn Umgang kann auch heißen, dass wir Denkmäler aktiv als Erinnerungsorte nutzen und uns die zweifelhafte Haltung der Würdigung, oder die Schrecken eines Orts bewusst machen.
Das EL-DE-Haus in Köln – einst Gestapo-Dienststelle und Gefängnis – wird heute als Museum und Gedenkstätte genutzt. Täglich werden zahlreiche Schulklassen durch die Räumlichkeiten geführt und über die Geschichte des Nationalsozialismus informiert. Das EL-DE-Haus ist eines von vielen positiven Beispielen des ‚Reframing‘. Weltweit werden Denkmäler umgewidmet, in einen neuen Kontext gesetzt, ergänzt oder gerahmt. Besonders prominent ist vielen noch in Erinnerung, wie der Künstler Lars Ø Ramberg in riesigen Lettern das Wort Zweifel auf dem Palast der Republik aufstellte.
Ein Raum für Ideen
Das Projekt Frameorial ist ein Versuch, der Diskussion über Denkmäler einen Raum zu geben, international Beispiele zu sammeln, die einen besonders gelungenen Umgang mit Monumenten dokumentieren, zugleich aber auch jene Denkmäler in den Blick zu nehmen, die dringend eines Reframings bedürfen. Mit Frameorial sollen in der Tradition Rambergs Zweifel an allzu schnellen Urteilen gesät werden, um die Diskussion zum Umgang mit Erinnerung neu zu entfachen. Das Projekt verfolgt dabei keine politische Agenda; es setzt sich weder für Erhalt noch für Abriss von Denkmälern ein. Stattdessen soll ein Raum für Ideen entstehen. Hierzu wurde ein Instagram-Kanal und eine Website eröffnet. Wöchentlich werden neue Beiträge über das Reframing von Denkmälern veröffentlich.
Dabei ist das Projekt von seinem Grundsatz her partizipativ ausgerichtet. Neben einem festen Autor:innen-Team kann jede:r sich aktiv beteiligten. Beispielsweise durch Fotos von diskussionswürdigen Objekten, das Verfassen eines eigenen Beitrags für Instagram oder den Blog, eine Idee zum Reframing oder ähnliches. Mittelfristig ist neben den Online-Beiträgen auch ein analoges Programm in Planung. Hierzu werden u.a. denkmalkritische Stadtspaziergänge gehören.
Du hast Lust mitzumachen?
Wer sich beteiligen möchte, ob redaktionell oder organisatorisch, kann sich über hi@frameorial.de an die Initiator:innen Katharina Kempf und Jérôme
J. Lenzen wenden.
Weitere Informationen zum Projekt sind auf www.frameorial.de abrufbar und zusätzlich unter @frameorial auf Instagram. Außerdem hat Janine Henn von szene kultur mit den Initiator:innen des Projekts ein kurzes Interview geführt.
Janine: Gab es ein initiales Ereignis für die Idee zu Frameorial?
Jérôme: Katha und ich waren im Hofgarten in Düsseldorf unterwegs und als Kölner und somit Nicht-Ortskundiger habe ich mit offenen Augen die mir noch unbekannte Umgebung angesehen. In der eigenen Stadt – zumal im Alltag – übersehen wir ja schnell, was uns umgibt. Aber bei Ausflügen nehme ich sehr genau wahr, wie der öffentliche Raum gestaltet ist. Ich habe also ständig gefragt, was ist das für ein Denkmal und jenes und wie es der Zufall so wollte, besucht Katha zur Zeit ein Seminar an der Heinrich-Heine-Universität, in dem sie sich intensiv mit Memorials beschäftigt. Dadurch kamen wir ins Gespräch über den Umgang mit problematischen Denkmälern, beispielsweise aus dem Kolonialismus und so viel möchte ich verraten: Einig waren wir uns nicht! Einen Tag später kam dann die Idee aus ebenjener Uneinigkeit ein Projekt zu machen. Denn unsere Gesellschaft hat auch noch lange keine einheitliche Position gefunden.
Janine: Bedeutet Euer Titel, dass Ihr grundsätzlich Reframing für eine bessere Lösung haltet als Zerstörung?
Katharina: Mit einer Zerstörung wird in gewisser Weise auch „reframed“, da eine Veränderung des Bestehenden stattfindet und die Zerstörung ja nicht über Nacht und unbemerkt passiert, es also trotzdem auch Diskussionen auslösen würde. Und dieser Diskurs mit der Gesellschaft steht bei uns im Vordergrund. Generell würde ich nicht sagen, dass ein ganz bestimmter Umgang der Beste ist. Es kommt immer auf das individuelle Objekt, seinen Standort und die Debatte darüber an.
Janine: Wann plant Ihr den ersten denkmalkritischen Spaziergang?
Jérôme: Sobald wir eine kritische Masse an geeigneten Beispielen beisammen haben, möchten wir das Projekt auch vom Internet in den öffentlichen Raum überführen. Denn schließlich geht es ja darum, dass wir mit offenen Augen durch die Straßen laufen und dabei im Idealfall nicht ständig über Werbetafeln und Kolonialverbrechen stolpern. Der Spaziergang ist eine wunderbare Methode, um die eigene Wahrnehmung zu schärfen. Nicht umsonst gibt es die durch Lucius Burckhardt entwickelte Promenadologie. Aus diesem Ansatz erhoffen wir uns einen großen Lerneffekt und frische Perspektiven auf das Projekt. Ein erster Spaziergang könnte bereits im Sommer stattfinden, wir müssen lediglich noch untereinander klären, ob wir in Köln oder Düsseldorf anfangen.
Janine: Zählen für Euch auch Straßennamen zur Erinnerungskultur?
Katharina: Auf jeden Fall! Wie kann deutlicher an bestimmte Personen erinnert werden, als sie in einer Straße, einem Platz, einer Brücke oder Bushaltestelle zu verewigen? Und schlendert man z.B. die Richard-Wagner-Straße entlang, wird sich sicher die ein oder andere Person fragen: „Achja, Wagner, war der nicht dieser Komponist? Oder irgendwas mit Pizza?“, aber wie viele werden sich fragen „Achja, Wagner, war der nicht dieser antisemitische Rassist?“ Also ja – es wird sich erinnert, nur woran und auf welche Weise?
Und da möchten wir ansetzen. Wir stellen uns die Frage, inwieweit es heute noch vertretbar ist, dass problematische Figuren der Geschichte so einen präsenten Platz in der Öffentlichkeit bekommen, zu denen, z.B. bei einem Straßenschild, wortwörtlich hinaufgeblickt wird.