Ikebana: Eine Frage des Respekts
von Paul Langner
Die Japanisch-Deutsche Kulturwerkstatt Tenri ist wohl eine Art verstecktes Juwel in der Kölner Kulturlandschaft. Neben Ausstellungen und Aufführungen werden hier Workshops angeboten, die nicht nur einen Einblick in sondern ebenfalls Teilnahme an einer fremden Kultur ermöglichen. Allerdings können hier nicht nur die traditionellen japanischen Künste kennengelernt werden. Das Tenri bietet Veranstaltungen an, die selbst eine:n Expert:in der Kölner Kulturszene überraschen würden, beispielweise einen Kurs zu europäischem Obertongesang und indischen Musikinstrumenten. Als Japanologie-Student ohne Gesangstalent hat es mich aber eher zu den Blumen gezogen.
Die Meisterin Akiko Kaneko bietet im Tenri Ikebana-Workshops an. Dort wird nach traditionellen Regeln die natürliche Schönheit der Blumen zum Vorschein gebracht. Dafür braucht es Respekt; vor der Natur und vor der Tradition. Was Ikebana überhaupt ist und wie die Meisterin ihren Schüler:innen die traditionelle Blumensteckkunst näherbringt, erfahrt Ihr hier.
Lebende Blumen
Das japanische Wort Ikebana 生け花 ergibt sich aus den Wörtern ikeru (生ける; leben) und hana (花; Blume) und ergibt demnach lebende Blumen. Ikebana hat seinen Ursprung in buddhistischen Blumenopfergaben und bildet mit der Teebegegnung und dem Duftspiel die drei traditionellen japanischen Künste. Im Zentrum der Blumensteckkunst steht der Wille, das Leben zu erhalten und die natürliche Schönheit der Blume darzustellen. Die Meisterin Akiko Kaneko lehrt nach der Ohara-Schule, eine Variation des Ikebana, die im Verlauf der Meiji-Reform und der Öffnung Japans gegründet wurde. Damals war es das Ziel der Ohara-Schule, die neu-importierten Pflanzenarten sinnvoll in das Ikebana zu integrieren. Heute zeichnet sich die Schule durch den Gebrauch von weiten und flachen Vasen aus, die die Nachahmung ganzer Landschaften ermöglichen. In einer Vase wird ein sogenannter kenzan (剣山) platziert, eine Bleiplatte, auf der sich ein Feld Holznadeln befindet, auf die die Blumen gesteckt werden. Nachdem der kenzan platziert und mit Wasser bedeckt worden ist, können die Blumen nach verschiedenen Regeln angeordnet werden.
Beim Ikebana steht es im Fokus, die natürliche Schönheit der Blumen zum Vorschein zu bringen
Vielleicht lässt sich die japanische Kunst des Blumensteckens am besten durch das beschreiben, was es nicht ist: indem wir uns einen barocken Garten vorstellen. Dieser würde sich durch Symmetrie, Prunk und klare Formen, die der Mensch der Natur auferlegt hat, auszeichnen. Im Vergleich dazu steht es beim Ikebana im Fokus, die natürliche Schönheit der Blumen zum Ausdruck zu bringen. Besonders wichtig hierbei ist das Prinzip der Zerstörung der Balance oder auch kinkô wo kuzusu (均衡を崩す), denn Symmetrie und Parallelen lassen sich in der Natur nicht finden und würden somit dem Ideal der natürlichen Schönheit im Weg stehen. Außerdem erlauben die Regeln des Ikebana keine besonders prunkvollen Arrangements à la Brautstrauß. Stattdessen gibt es einen Hauptzweig und mehrere Gastzweige sowie Füllmaterial, die die Schönheit des Hauptzweigs unterstreichen und nicht übertrumpfen sollen. „Minimalismus“, so Frau Kaneko, „ist ein Resultat von Ikebana, aber nicht das Ziel“. Ikebana bedeutet also, die natürliche Schönheit der Blume zu erkennen und sie zum Vorschein zu bringen, nicht mehr und nicht weniger.
Das wichtigste Element in der japanischen Blumensteckkunst: Respekt
Die Meisterin Akiko Kaneko, die seit 20 Jahren Ikebana betreibt, ist 2001 nach Deutschland gekommen und hat hier ihren ersten Unterricht bei einer japanischen Lehrmeisterin genommen. Mit einem Lächeln erzählt Frau Kaneko mir, dass sie in Deutschland zwei weitere Lehrmeisterinnen finden konnte, die zufälligerweise beide der Ohara-Schule angehört haben. Ihre momentane Meisterin ist wieder nach Japan zurückgekehrt und gibt ihr Unterricht via skype. Seit 2014 bietet Akiko Kaneko Unterricht zuhause in Bonn und seit 2017 Ikebana-Workshops hier in Köln im Tenri an.
Für die Meisterin ist das wichtigste Element in der japanischen Blumensteckkunst Respekt; einerseits Respekt vor der Natur, ihrer Form und ihrer Wirkung. Andererseits müssen die traditionellen Regeln des Ikebana respektiert werden, die die verschiedenen Variationen der verschiedenen Schulen bestimmen. Frau Kaneko erklärt mir das Prinzip des shuhari (守破離), also die drei Stufen des Lernens eingeteilt in die Beachtung der Grundlagen, das Aufbrechen und schließlich das Loslösen von diesen. Oftmals ginge es heutzutage zu oft um das ha und das ri, also das Aufbrechen der Fundamente und das Loslösen von diesen. Besonders beim Ikebana sei es allerdings wichtig, sich der traditionellen Regeln bewusst zu werden und diese zu respektieren, so Frau Kaneko. Dies gilt allerdings auch andersherum. Wohingegen Ikebana-Schüler:innen in Japan eher durch Nachahmung lernten, versuchten deutsche Schüler:innen schnell eigene Ideen zu implementieren, die ebenso wie die Tradition respektiert werden müssen, erläutert mir die Meisterin.
Ikebana-Kurse als Ausdruck der Dankbarkeit
Akiko Kanekos Motivation dafür, Ikebana-Unterricht und -Workshops zu geben, liegt in dem Gefühl der Dankbarkeit begründet. Dankbarkeit dafür, dass sich so viele Menschen eines anderen Landes für Ikebana, für ihre Kultur, interessieren. Beim Gespräch mit den weiteren Kursteilnehmer:innen wird mir allerdings deutlich, dass das Gefühl auch hier in beide Richtungen verläuft. So wie die Meisterin Dankbarkeit verspürt, empfinden die Schüler:innen ebenso Dankbarkeit dafür, dass sie ihre Kultur mit ihnen teilt. Ein weiterer wichtiger Motivator, sowohl für die Meisterin als auch die Schüler:innen, lässt sich im meditativen Aspekt finden, den das Ikebana durch den Einfluss des Zen-Buddhismus erhalten hat. Während des Blumensteckens konzentriert man sich voll und ganz auf die Blumen und vergisst gewissermaßen sich selbst, aber auch die eigenen Probleme und Sorgen. Und tatsächlich; es tut wirklich gut, sich zwei Stunden nur mit den Blumen und ihrer Anordnung zu beschäftigen. Merklich entspannt und mit dem Vorsatz, zum nächsten Workshop wieder zu kommen, verlasse ich das Tenri.
Paul ist bei szene kulturmanagement Praktikant für Redaktion & Social Media. Er studiert Japanologie und Philosophie an der Universität Köln und konnte während eines einjährigen Auslandsaufenthaltes Japan und die japanische Kultur kennen und schätzen lernen. Aber auch in Köln verschafft er sich auf unterschiedlichen Wegen die Möglichkeit die japanische Kultur noch besser und intensiver kennenzulernen.