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Interview mit Lutz Pickardt zu „Theatre makes Politics“

von Lea Peschner

Die Europäische Union unterstützt mit verschiedenen Förderprogrammen den Kultur-und Kreativsektor auf internationaler Ebene. Im Rahmen dieses Interviews führe ich ein Gespräch mit Lutz Pickardt, der gemeinsam mit fünf weiteren Ländern ein EU-Projekt initiiert hat. Angesichts des aktuellen Rechtsrucks, der Bewegung zur Renationalisierung und des Rechtspopulismus möchte er als Theaterpädagoge aktiv werden und entwickelt mit seinen Kolleg:innen ein Handbuch. Das Interview beleuchtet verschiedene Themen, darunter Lutz bisherige Spur, die Entstehung des EU-Projekts und seine Förderung.

Lea: Du leitest schauspiel-und theaterpädagogische Kurse, Projekte und Workshops. Unter anderem bist du auch Theatertherapeut und hast Yoga und Meditation in Indien praktiziert. Was waren für dich die relevantesten Steps für deinen aktuellen Beruf?

Lutz: Ich habe 6 Jahre lang Maschinebau und chemische Verfahrenstechnik studiert. Ich komme aus einer Ingenieursfamilie, mein Vater war Ingenieur und mein Bruder ist diesen Weg auch gegangen. Meine Eltern gehören zur Nachkriegsgeneration und ihnen war Sicherheit sehr wichtig. Ich habe aber dann gemerkt: Ich muss meine eigene Spur suchen. Dann habe ich einfach geschaut was mich interessiert hat und bin dann in die Tiefe gegangen. Letztendlich habe ich Diplom-Pädagogik studiert und habe damals gleichzeitig meine theatertherapeutische Ausbildung in Hamburg abgeschlossen. Zusätzlich habe ich ein Zertifikat als Theaterpädagoge und auf einmal hatte ich drei Berufe. Natürlich sind das aber keine drei unterschiedlichen Tätigkeiten, sondern sind sie miteinander durchdrungen. Zusätzlich habe ich dann noch eine Ausbildung in experimenteller Stimmarbeit in Frankreich gemacht, was jetzt zu meinem zweiten Standbein geworden ist. Mir ging es dabei aber nie darum irgendeinen Schein zu haben, sondern meinen Interessen zu folgen und die bestmöglichen Lehrer:innen dafür zu finden. Als dann die 30-er Krise kam, merkte ich, dass ich auf einen akademischen Abschluss doch nicht ganz verzichten will. Trotzdem bin ich der Meinung, dass viel wichtiger ist, welche Gedanken dich rumtreiben, deine künstlerischen als auch persönlichen Kompetenzen und die Frage „Wofür brennt mein Herz?“. Darüber hinaus ist das Praktizieren von Yoga zwar etwas in den Hintergrund geraten, aber ich meditiere regelmäßig. Ich bin praktizierender Buddhist und ein spiritueller Mensch, welches meiner Arbeit eine ethische Rahmung gibt.

Lea: Wie hat sich dann dein Interesse an Theater entwickelt?

Lutz: Ich habe schon während meines Studiums an Theaterkursen in der Universität teilgenommen und gemerkt, dass es mir sehr Spaß macht. Dann habe ich viele verschiedene Leute kennengelernt und unterschiedliche Dinge ausprobiert, unter anderem Körpertheater, Perkussion und Tanz. Ich habe einfach das gemacht, worauf ich Lust hatte und mir neben meinem Studiums in Maschinenbau schon vieles im Bereich Theater aufgebaut, mich nur nicht getraut, dass zu meinem Beruf zu machen. Ich wusste auch gar nicht, wie das geht, und mir war das irgendwie vorerst fremd. Ich habe mich dann doch getraut und es keine Sekunde bereut.

Lea: Wie würdest du deinen Beruf genauer beschreiben und was sind deine aktuellen Projekte?

Lutz: Ich bin bei meinen Tätigkeiten breit gefächert und war auch schon immer sehr viel unterwegs, wofür ich sehr dankbar bin. Persönlich finde ich, dass transkulturelles Lernen nur stattfinden kann, wenn man auch selbst reist. Mittlerweile arbeite ich hauptsächlich in der Erwachsenenbildung im Bereich der theaterpädagogischen Ausbildung und Weiterbildung oder bin bei Fachtagungen dabei. Darüber hinaus gebe ich Workshops und Trainings im Körpertheater und der Stimmbildung. Ich gebe unter anderem aber auch Trainings an Hochschulen und dort arbeite ich mit Professoren zusammen, die nicht unbedingt aus dem Theaterbereich kommen. Dort lehre ich vor allem im didaktischem Bereich der Lernvermittlung der Professoren. Wie kommt man gut rüber? Wie wird man als Vortragender oder Vortragende interaktiver? Wie hört man mir zu? Darüber hinaus mache ich nicht mehr so viele Projekte wie früher, aber einmal im Jahr führe ich eine Produktion auf der Bürgerbühne durch. Das ist dann klassische theaterpädagogische Arbeit. Zu einem wichtigen Arbeitsbereich zählt aktuell auch das EU- Projekt, über welches wir sicherlich noch sprechen. Zusammenfassend würde ich sagen, dass mein Hauptarbeitsgebiet ein Querschnitt zwischen Kunst, Persönlichkeitsentwicklung, Ritual als Spektrum und Therapie ist.

Lea: Auf das Projekt „Theater makes Politics“ würde ich gerne genauer eingehen: Worum geht es in diesem Projekt?

Lutz: Das Projekt besteht aus einem Team von Personen aus 5 verschiedenen Ländern: Nordmazedonien, Griechenland, Portugal, Frankreich und Deutschland.  Wir arbeiten seit April 2022 an einem Praxishandbuch, welches Theaterpädagog:innen und Sozialarbeiter: innen unterstützen soll mit Jugendlichen theaterpädagogisch zum Thema Populismus und/oder Extremismus zu arbeiten. Die Zielgruppe wären dann beispielsweise Schulklassen oder Gruppen aus der freien Jugendarbeit.

Lea: Wie kam es zu diesem Projekt und wie kam es dazu, dass es sich so ausgeweitet hat?

Lutz: Hinter diesem Projekt steckt eine lange Entwicklung. Der Bundesverband Theaterpädagogik (BUT) wollte sich schon immer mehr in die Richtung Europa öffnen. Es wurden daher auch schon damals vom ehemaligen Geschäftsführer Raimund Finke EU-Anträge gestellt. Ziel war es auch schon in der Vergangenheit, sich mit Kolleg:innen aus dem Ausland auszutauschen. Als ich dann Vorsitzender des Bundesverbandes Theaterpädagogik wurde, wurde das zu meinem Arbeitsschwerpunkt. Ich habe mich dann gefragt, wie wir uns mehr Richtung Europa öffnen können. Zudem fand ich die Bewegung der Renationalisierung, den Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa sehr bedenklich. Daraufhin kam bei mir die Frage auf, wie wir uns als Theaterpädagog:innen in den Diskurs einbringen können. Als Leitlinien für den Verband hatte ich dann zwei Themen: Internationalisierung und Politisierung. Daraus hat sich dann eine Bewegung entwickelt und um das ganze anzugehen, haben wir uns als Verband viel beraten lassen und bei Coachings mitgemacht. Daraus ergab sich dann, dass Einzelprojekte sich kaum über die EU finanzieren lassen. Dann war klar: Wir müssen ein zehn Mal so großes Projekt durchführen als eigentlich geplant war. Zunächst habe ich geschaut, wie ich Personen davon überzeugen kann, dass sie bei dem Projekt mitgehen und habe somit Kolleg:innen aus ganz Europa zu Zoom-Konferenzen eingeladen, wo ganz viel Brainstorming zu Themen für ein EU-Projekt stattgefunden hat. Mir war aufgefallen, dass es zu der Zeit zwar einige Projekte gab, die für die Demokratie und Partizipation arbeiteten, aber wenige, die in die Richtung gegen antidemokratischer Kräfte gingen, und da konnte ich dann die Kolleg:innen überzeugen bei meinem Projekt mitzugehen. In den Think Tank Sessions hat sich dann herauskristallisiert, dass von den dreizehn Ländern aus ganz Europa die meisten Kolleg: innen abgesprungen sind aufgrund der hohen Arbeitsbelastung oder Umstrukturierung. Es war ein auf und ab. Der Antrag zur EU-Förderung hatte dann am Ende 128 Seiten. Das muss man erstmal stemmen und es blieben mit uns zusammen sechs Länder übrig, die nun an diesem Projekt arbeiten.

Lea: Das bedeutet viel lief über Netzwerken und darüber, dass du einfach nicht aufgegeben hast?

Lutz: Ja. Es gibt noch so viele andere Themen, die konkurrieren und da braucht man jemanden der wirklich hartnäckig ist. Wenn da keiner ist der das Projekt vorantreibt, dann passiert da auch nichts.

Lea: Seit den letzten Jahren und auch aktuell gewinnen rechte Akteure immer mehr an Stimmen und Einfluss. Das Projekt „Theatre makes Politics“ ist ein gutes Beispiel, dass Kultur Widerstand gegen den aktuellen Rechtsruck leisten kann. Wie helfen eure Strategien dabei bzw. welche Erfahrungen habt ihr bis jetzt gemacht?

Lutz: Mein Wort, was ich wählen würde, wäre nicht Widerstand. Aber dazu gleich. Die gesellschaftliche Entwicklung ist immer mehr die Renationalisierung und genau jetzt ist es wichtig Brücken zu schlagen. Diese Entwicklung ist in Europa zu bemerken und ein wichtiger Kern ist erst einmal, dass die Länder zusammenarbeiten und dass wir uns öffnen. Wir haben eine Strategie, die wir verfolgen und genau das ist es auch: Eine strategische Partnerschaft. Wir tauschen uns über die verschiedenen politischen Situationen in den Ländern aus und denken gemeinsam darüber nach, wie wir einen Kontrapunkt zur Bewegung der Renationalisierung und den Rechtsruck setzen können. Diesen Austausch auf EU-Ebene finde ich absolut fruchtbar. Unser Projekt setzt nicht auf Widerstand, sondern auf Bewusstseinswandel. Es geht bei der Entwicklung unseres Handbuches darum, Jugendliche dazu zu befähigen, zu erkennen, dass sie auf dem falschen Dampfer sind. Das Rechtsextremismus ein Weg ist, der nirgends hinführt, destruktiv und zum größten Teil menschenfeindlich und fremdenfeindlich ist. Wir appellieren da in ihren gesunden Menschenverstand, an ihre Empathiefähigkeit und an ihre Ambiguitätstoleranz. Das alles wollen wir wecken. Gleichzeitig soll das aber nicht bedeuten, dass ich gegen Widerstand im Theater bin. Das Zentrum für politische Schönheit oder das Aktionstheater sind gute Beispiele. Das ist nur nicht die Spur, die ich verfolge.

Lea: Den Antrieb dahinter verstehe ich. Wie sind eure Erfahrungen bis jetzt mit eurem Projekt?

Lutz: Das Handbuch befindet sich noch in der Entwicklungsphase und beinhaltet keine direkte Arbeit mit den Jugendlichen. Vor Kurzem haben wir jedoch ein spannendes neues Projekt mit dem Treibkrafttheater in Hamm durchgeführt, das sich mit dem Thema Verschwörungstheorien und Desinformation befasst hat. In einem Workshop mit einer Gesamtschulklasse haben wir gemeinsam erarbeitet, wie Desinformationen funktionieren, welche Mechanismen dahinterstecken und wie man konstruktiv damit umgehen kann, wenn man auf Falschinformationen oder Verschwörungstheorien stößt. Wir haben beispielsweise verschiedene Boulevard-Strategien ausprobiert. Die Jugendlichen haben eine Talkshow erfunden, eine Kampagne entwickelt und mithilfe eines Bauplans, der die wichtigsten Aspekte einer Verschwörungstheorie umreißt, gemeinsam eine solche Theorie entwickelt. Des Weiteren haben wir über das Teilen persönlicher Informationen gesprochen, die an sich keine Falschinformationen sind, aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Dies hat dem Workshop eine privaten Rahmen verliehen, der für die Jugendlichen greifbar war. Dabei spielte natürlich auch das Thema Mobbing eine große Rolle. Am Ende des Workshops haben die Jugendlichen einen Fragebogen ausgefüllt, aus dem hervorging, dass sie nun der Meinung sind, Falschinformationen entlarven zu können und zu wissen, wie sie damit umgehen können, wenn sie ihnen begegnen. Ich bin der Meinung, dass der Workshop einerseits motivierend war und andererseits viele Kompetenzen vermittelt hat. Die Begegnung mit Verschwörungstheorien ist allgegenwärtig, insbesondere in sozialen Medien wie TikTok. Unser Ziel ist es, dass Jugendliche in Zukunft schnell erkennen, wenn sie auf eine Verschwörungstheorie stoßen.

Lea: Das Projekt wird von der EU gefördert. Hast du das Gefühl, das Projekt wird somit ausreichend gefördert?

Lutz: Ja und Nein. Die Programm-Richtlinien ändern sich alle 3 Jahre und dann gibt es neue Auflagen. Wir haben unseren Antrag 2021 gestellt, wo alles sehr klar auf Fahrtkosten, Unterkunft und die verschiedenen Bereiche budgetiert ist. Die Förderung ist als Ko-Finanzierungsmodell gedacht und wir haben immerhin auch 250 000 Euro für das Projekt bekommen. Das ist nicht Nichts. Teilweise ist das super ausreichend und teilweise gibt es ein paar Punkte in dem Programm, die nicht ganz berücksichtigt wurden wie zum Beispiel das Einladen von Referent:innen. Diese Dinge werden dann leider nicht gefördert und diese muss man dann querfinanzieren. In der Folgegeneration sind diese Fehler aber ausgebügelt und die EU arbeitet an einem Gesamtbudget, mit dem man ein ganzes Projekt finanzieren kann. Die sind da auf einem guten Weg. Allgemein habe ich ein gutes Gefühl zur europäischen Union und ich empfinde die Nationalagentur Erasmus als sehr unterstützend.

Lea: Wird zudem mit der EU-Förderung Sichtbarkeit geschaffen?

Lutz: Die Verbände sind dafür zuständig, das Projekt sichtbar zu machen. Die müssen das auf ihre Website und in ihre soziale Netzwerke bringen. In dem Bereich lahmt unser Verband noch ein bisschen. Das ist aber nicht die Schuld der EU, das ist die Trägheit unseres Verbandes.

Lea: Würdest du denn sagen, dass die Kulturszene und Institutionen Projekte wie eure noch besser fördern könnten?

Lutz: Mit der Förderung unseres Projektes bin ich zufrieden, doch man muss sehen, dass nicht alle Projekte gefördert werden. Aktuell wurden der Bundeszentrale für politische Bildung die Fördermittel gekürzt. Das ist ein fatales Signal auf der Bundesebene, da wir gerade in der politischen Bildung mehr brauchen und nicht weniger. Persönlich empfinde ich die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung als sehr gut, die zudem wichtige Projekte unterstützen.

Lea: Der Antrag für die Fördermittel hatte ja auch 128 Seiten. Kann man das zugänglicher machen?

Lutz: Ja, EU-Anträge zu stellen ist wirklich der Horror. Der Arbeitsaufwand ist enorm und deswegen sind ja auch bei unserem Projekt so viele abgesprungen.

Lea: Ist es korrekt zu sagen, dass es schwierig ist, Förderung für die Kultur zu erhalten?

Lutz: Das ist eine sehr breite Aussage. Es gibt so viele Förderinstrumente auf verschiedenen Ebenen. Unsere Förderung verläuft über die EU-Ebene, aber es gibt Weitere auf der Landesebene, Kommunalebene, NGOs, Stiftungen, Strukturfonds und so weiter. Ich kann da jetzt nicht alle in einen Topf schmeißen, aber ich kann sagen, dass die politische Bildung insgesamt mehr Aufmerksamkeit braucht. Gerade in der Jugendarbeit aufgrund des Rechtsruck. Dort sehe ich auf jeden Fall einen größeren Förderbedarf. Allgemein ist das Thema Förderung sehr komplex und wenn ich noch was kritisieren wollen würde, würde ich die Förderung von theaterpädagogischen Projekten kritisieren. Es gibt keine spezifische Förderung theaterpädagogischer Programme, sondern nur für Kunst oder Sozialarbeit. Wir mussten uns dann für einen Bereich von beiden entscheiden und somit mussten wir das Ästhetische weitgehend rauslassen, da unser Projekt nicht mit Kunst zu tun haben sollte und der pädagogische Effekt im Vordergrund steht. Ich finde das schade, weil wir als Theaterpädagog:innen ja unseren eigenen Weg gehen.

Lea: Danke für das Interview!