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TanzFaktur Köln – Tanzen bewegt!

von Lilly Schäfer

 

Das Zusammenspiel der Performenden transportiert in Kombination mit Musik, Licht und Kostüm eine bestimmte Atmosphäre. Hinzu kommen gerne provokante Mittel wie Nacktheit, Schreie, Flüssigkeiten, die verteilt werden, und vieles mehr. […] Durch solche Kontraste und Bilder, die nicht unseren „normalen“ Sehgewohnheiten entsprechen, wird das Publikum aufgerüttelt, irritiert und zum Nachdenken gebracht. – Anthea Petermann, Pressesprecherin der TanzFaktur

Entstehung und kulturelle Bedeutung der TanzFaktur

Dozentin Chin-A Hwang in ihrer Ballettklasse für Beginnende © Oliver Stroemer

Die TanzFaktur – ein Ort, der Menschen bewegen möchte – emotional sowie physisch. Seit 2014 hat sich das kulturelle Zentrum in Deutz sowohl als Veranstaltungsort und Proberaum als auch als Tanzstudio für Tanzschaffende und Amateur*innen etabliert. Das junge Team aus zehn festen Mitarbeitenden und etwa 25 Tanzdozierenden hat es sich zum Ziel gesetzt Tanz in all seinen Facetten greifbar zu machen, für „Menschen jeden Alters, jeden Könnens, jeder Gesellschaftsschicht.“

Die Räume der TanzFaktur, die für ihren industriellen Charme bekannt sind, sind aus einer ehemaligen Möbelmanufaktur entstanden. Einen nur auf Tanz spezialisierten, zentralen Ort gab es bislang nicht in der Millionenstadt Köln. Und auch die verfügbaren Flächen für Proberäume waren begrenzt. Eins führte zum anderen und schließlich wurde die Idee geboren einen eigenen Raum zu schaffen. Ohne die TanzFaktur wäre die kreative Entfaltung der lokalen Tanzszene in Köln nicht in diesem Maß möglich – sie nimmt also schon alleine durch ihre Existenz eine wichtige und einzigartige Stellung in der Kölner Kulturlandschaft ein. Ebenso besonders ist die enge Verflechtung von Produktion und Aufführung. Die großzügigen Probemöglichkeiten und die WerksHalle, die auch raumgreifende Produktionen zulässt, bilden den Nährboden für die Schöpfung neuer Choreographien und Performances, die dann auf den Bühnen des Tanzhauses ihre Premiere feiern können. Außerdem sind die Dozierenden der TanzFaktur ausgebildete, größtenteils studierte Tänzer*innen, die vielfach auch selbst die hauseigenen Proberäume nutzen und als Tanzschaffende auf der Bühne stehen.  Somit haben sie einerseits eine Verbindung zu den zeitgenössischen Entwicklungen innerhalb der Tanzszene und stehen andererseits in engem Kontakt mit den Teilnehmenden der Tanzklassen. Mit dem hauseigenen Residenzformat INKUBATOR erhalten Tänzer*innen und Choreograf*innen, die noch am Anfang ihrer tänzerischen Berufslaufbahn stehen, die Möglichkeit sich selbst zu verwirklichen. INKUBATOR fördert Tänzer*innen im Laufe eines Jahres über drei intensive Arbeitsphasen: Sie bekommen einen Proberaum sowie Aufführungsort gestellt und werden dabei von einem professionellen Mentor*innen-Team begleitet. Die TanzFaktur ist also nicht nur deshalb einzigartig, weil Produktion und Veranstaltung in ein und demselben Kreativraum zum Leben erwachen, sondern auch weil durch die Tanzklassen und Residenzen Nachwuchstalente ausgebildet und gefördert werden.

 

Von Kindertanz bis hin zu Urban Grooves

Dozent Aljoscha Becker in seiner Urban Grooves Klasse © Oliver Stroemer

„Tanzen ist die schönste Gelegenheit einander auf die Zehen zu treten“, sagte einst der Schweizer Autor Walter Ludin. Und in der Tat gibt es wohl kaum eine Tätigkeit, die so viele fremde Menschen auf so engem Raum zusammenführt und gemeinsam glücklich sein lässt.

Tanzen verbindet, das weiß auch das Team der TanzFaktur. Anthea Petermann, Zuständige für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, erzählt von den kostbaren Momenten, in denen Kursteilnehmende am Ende einer Tanzstunde voller Energie und mit einem Strahlen über das ganze Gesicht ihre Räume verlassen. Das Kursangebot ist facettenreich, reicht von zeitgenössischem Tanz, über Ballett und Urban Grooves bis hin zu somatischen Formaten wie Yoga, Faszientraining und Pilates. Die Auswahl wird durch besondere Projekte wie in etwa „Dance Your Anatomy“ oder „Axis Syllabus Lab“ ergänzt. Ersteres beschäftigt sich mit der Anatomie und Funktion eines speziellen Körperteils durch Tanz, zweiteres rückt die Anatomie des ganzen Körpers sowie die Nutzung physikalischer Kräfte in den Vordergrund. Zum Erwachsenenprogramm gesellen sich Tanzklassen für Kinder und Jugendliche wie in etwa Tänzerische Früherziehung und Kindertanz.

 

Die WerksHalle © Anthea Petermann

Kooperationen und Veranstaltungen

So jung und innovativ wie das Team selbst, so ist auch ihr Anspruch an das künstlerische Programm. Die Vernetzung mit dem tänzerischen Nachwuchs Kölns hat einen hohen Stellenwert in der TanzFaktur. Daraus ergaben sich verschiedene Kooperationen, unter anderem mit dem Zentrum für Zeitgenössischen Tanz der Hochschule für Musik und Tanz sowie mit dem Fortbildungsmaster M.A. Tanz – Vermittlung, Forschung, künstlerische Praxis der Deutschen Sporthochschule Köln. Außerdem arbeitet die TanzFaktur mit einigen unabhängigen Veranstaltungen zusammen, die die Bühnen des Hauses als Austragungsort nutzen. Zu nennen ist zum Beispiel das tanz.tausch Festival, das tanz NRW Festival, das Sommerblut Festival und das IMPULSE Festival. Die SommerAkademie und das (Rh)einfach Festival tanzen hier ein wenig aus der Reihe, denn sie werden von der TanzFaktur selbst geplant und kuratiert. Beide Festivals repräsentieren zeitgenössischen Tanz, wobei die Ausrichtung der SommerAkademie international ist, das (Rh)einfach Festival wiederum spezialisiert sich ausschließlich auf die lokale Szene und ist damit das einzige zeitgenössische Tanzfestival mit Fokus auf das Rheinland. Am ersten Oktoberwochenende wird ein Programm aus Newcomern sowie Größen aus Köln und der Umgebung auf die Beine gestellt, das sich seit dem Jahr 2020 aus Nominierten des Kölner Tanz- und Theaterpreises zusammensetzt. Das Festival hatte sein Debüt bereits wenige Monate nach Eröffnung der TanzFaktur im Jahr 2014 und ist seitdem fester Bestandteil des Kulturortes. Die SommerAkademie wiederum präsentiert in den ersten beiden Juliwochen ein facettenreiches, hochkarätiges Aufführungsprogramm von Künstler*innen aus aller Welt sowie ein ergänzendes Workshop-Angebot. Nachdem das Festival im letzten Jahr abgesagt werden musste, orientiert sich das Format in diesem Jahr an der bis dahin zugelassenen Aufführungspraxis. Die Veranstalter*innen sind für alles gewappnet und setzen alles daran das meiste aus dem jeweiligen Format herauszuholen, sei es digital, hybrid oder eben in persona. Neben den Festivals stehen auch Gastspiele, Premieren und ein festes Tanz-Repertoire auf dem Programm des Tanzhauses.

 

Poems and Politics

Thematisch ist das Programm der TanzFaktur facettenreich. Sie zeigen die volle Bandbreite des zeitgenössischen Tanzes, welcher beispielhaft gesellschaftspolitisch, provokativ, humorvoll oder auch poetisch und sinnlich sein kann. Jedes Stück unterscheidet sich vom nächsten und das sowohl inhaltlich, als auch stilistisch. Denn neben dem Tanz schafft es zunehmend auch Physical Theatre und Neue Musik ins Programm der TanzFaktur.

Aktuelle Debatten um die Zukunft der Kultur ließen die Frage nach dem politischen Ausdruck beim Tanz in den Vordergrund rücken. So ist der Intendant Joachim Lux des Thalia Theaters Hamburg beispielsweise der Meinung, Theater und Tanz werden nach der Krise einen zunehmend politischen Ausdruck finden, wenn auch nicht durch direkte Thematisierung der Pandemie. Aber dennoch: eine solch intensive Auseinandersetzung mit dem Weltgeschehen wie sie aktuell stattfindet gelte es zu verarbeiten und zwar in Form von Kunst. Auch die Pressesprecherin der TanzFaktur Anthea ist sich sicher, dass die Pandemie „als einschneidendes Erlebnis einer ganzen Generation […] natürlich durch alle Kunstformen aufgearbeitet [wird] und uns somit in der einen oder anderen Form auch auf der Bühne weiter begleiten [wird].“ Sie erklärt, dass die Tanzperformances auf den Bühnen der TanzFaktur oft einmal „politisch, laut [und] unbequem“ werden. Dies kann in unterschiedlichsten Formen zum Ausdruck gebracht werden:

Dozent Adrián Castelló in seiner Klasse ‚Contemporary Fortgeschrittene‘ @ Oliver Stroemer

„durch Symbole, metaphorische Körpersprache, Bewegungen und Mimik. Das Zusammenspiel der Performenden transportiert in Kombination mit Musik, Licht und Kostüm eine bestimmte Atmosphäre. Hinzu kommen gerne provokante Mittel wie Nacktheit, Schreie, Flüssigkeiten, die verteilt werden, und vieles mehr. […] Durch solche Kontraste und Bilder, die nicht unseren „normalen“ Sehgewohnheiten entsprechen, wird das Publikum aufgerüttelt, irritiert und zum Nachdenken gebracht.“

Ganz im Sinne Josef Beuys‘ und der deutschen Happening-Bewegung, die ihre Anfänge auch zu großem Teil im Köln der 60er Jahre nahm, liegt beim Tanz ein besonderer Fokus auf dem Publikum. Die Interpretation der Zuschauenden mag beim zeitgenössischen Tanz vielleicht nicht zwangsweise ein integrierter Bestandteil des Kunstwerks sein, dennoch ist ihr große Bedeutung beizumessen. Das Besondere am Tanz ist in erster Linie auch, dass es zum Verständnis dieser Kunstform keinerlei Sprache bedarf. Gerade weil die Vermittlung der Inhalte ausschließlich über die Bewegung, Mimik, Gestik und Emotionen der tanzenden Körper erfolgt, fallen die Reaktionen und Deutungen des Publikums umso individueller aus.

 

„Wie unterschiedlich haben [die Zuschauer*innen] Dinge wahrgenommen? Wo lag der Fokus, wohin sind die Gedanken gewandert, was waren die Assoziationen?“

 

Haupteingang TanzFaktur zur letzten Spielzeiteröffnung im September 2020 © Anthea Petermann

Technischer Wandel in der Kultur  eine langlebige Veränderung?

Eines steht außer Frage: Die Pandemie hat die Kulturbranche wie ein Schwert mitten ins Herz getroffen und auch die TanzFaktur hatte mit den Schließungen und neuen Herausforderungen zu kämpfen. Die Umstellung auf Hybrid- und Digitalangebote, die wechselnden Auflagen, die neuen Konzepte sowie das unübersichtliche Wiedereröffnungs- und Schließungschaos forderten eine Menge Kreativität und keineswegs weniger Arbeit. Doch von Anfang an stand fest, dass die Tanzklassen weitergeführt werden müssen: Denn körperliche Bewegung ist gerade in Zeiten wie diesen unheimlich wichtig. So sind digitale Tanzinare entstanden, die man entweder mit einer speziellen Corona Soli-Mitgliedschaft oder mit einem unverbindlichen Wochenpass besuchen kann. Natürlich wurde auch die Bühne der TanzFaktur in den digitalen Raum verlagert, in dem es im letzten Jahr einige Talks, Interviews und gestreamte Tanzperformances zu sehen gab. Ganz in der Tradition der TanzFaktur wird in den ersten beiden Juliwochen dieses Jahres das bereits erwähnte Festival SommerAkademie stattfinden – in welchem Format wird sich noch zeigen – die TanzFaktur ist für alles gewappnet.

„Eines haben wir in diesem Jahr gelernt: Die Welt wird nach Corona nicht dieselbe sein. […] Die Zukunft ist nicht nur, aber auch digital, ob wir es wollen oder nicht.“

Dass eine virtuelle Kulturveranstaltung kaum an das Erlebnis einer Life-Performance herankommen wird, darüber sind sich die meisten einig. Dennoch reden aktuell viele Kulturpolitiker*innen von einer längst überfälligen „Innovation und Transformation“ innerhalb der Kulturlandschaft, wenn es um digitale Angebote geht. Und auch Anthea ist der festen Überzeugung, dass die Digitalisierung der TanzFaktur ein wichtiger Schritt in ihrer Entwicklung war, um sich neu zu strukturieren und neue Möglichkeiten zu schaffen. Die gesamte kulturelle Szene profitiert trotz fehlender Live-Atmosphäre immerhin von einer überregionalen und leichten Zugänglichkeit. Dieses Umdenken, diese neuen Herausforderungen dienten vielen Tanzschaffenden auch als Inspiration, um sich an neuen Ausdrucksformen zu probieren und neue Wege zu beschreiten.

Die schönste und hoffentlich nachhaltigste Veränderung, die auch nach der Krise noch in den Köpfen der Menschen bestehen bleiben könnte, ist die neu entfachte Wertschätzung für kulturelle und kollektive Veranstaltungen, denkt Anthea:

„Nachdem wir als Gesellschaft so lange verzichtet haben, wird das Langersehnte emotional aufgeladen sein: Für manche der Besuch einer Performance, für andere der Konzertbesuch oder das gemeinsame Tanzen.“