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Work-Life-Smoothie – arbeitest du noch oder arbeitest du schon?

von Lene Mrosik

Ehrlich? Ich weiß nicht wirklich, wo mir der Kopf steht. Mir fiel es auch noch nie so schwer über ein Thema zu schreiben, wie in den letzten Tagen. Dabei geht es um ein Thema, das präsent ist, beziehungsweise präsent sein sollte. Viele versuchen nach der Sommerpause wieder in ihren altgewohnten Arbeits- und Privatleben Rhythmus zu finden. Einigen gelingt es schnell. Bei anderen, so wie bei mir, scheint es als wolle das einfach nicht funktionieren. Vielleicht ist es Zeit einen neuen Rhythmus zu finden – aber zu welchem Takt soll man diesen schlagen? Die Sommerpause war definitiv da – die benutzten Urlaubstage sind ein klares Bild dafür – dennoch bleibt ein Gefühl von Erholung aus. Woran das liegt? Selbst in der Sommerpause war der Kopf gefüllt mit Arbeit. Vielen Menschen ist sie eine ständige Begleiterin. Vor allem in der Kulturbranche, wo jetzt im Sommer Konzerte und Festivals nacheinander veranstaltet werden, wird versucht auf Hochtouren alles nachzuholen, das in zwei Jahren Pandorama (Pandemie + Drama) genommen worden war, ist „einfach mal abschalten“ leichter gesagt als getan. Jederzeit erreichbar sein, jederzeit Ideen aufschreiben, entwickeln oder Projekte durchplanen. Und dann sind da auch noch die sozialen Medien. Pandorama, Pandemie + Drama, Pandora + Drama, Pandora und ihre Büchse, das passt doch. Und diese Büchse öffnen wir dann doch oftmals selbst.

Das ganze Pandorama

Nachdem der junge Titan Prometheus nach dem Ebenbild der Götter die Menschen aus Lehm auf der Erde erschaffen hatte, schaffte er es noch durch eine List unerlaubterweise das Feuer der Götter zu stehlen. Dies erzürnte den Göttervater Zeus so sehr, dass dieser beschloss, Prometheus und die Menschen zu bestrafen. Zeus ließ durch den Schmied Hephaistos die schön geformte Pandora, die „Allschenkende“, erschaffen. Er gab ihr eine Büchse, in dem alle Übel der Welt eingeschlossen waren, und ließ sie durch Hermes auf die Erde bringen. Pandora sollte damit den Diebstahl des Feuers durch Prometheus vergelten. Epimetheus nahm Pandora trotz der Warnungen seines Bruders Prometheus zur Frau. Als er die ihm von Pandora hingehaltene Büchse öffnete, kamen Übel und Leid über die Menschheit, nur die Hoffnung blieb in dem Gefäß zurück.

Gut, was hat das nun mit dem Thema zu tun? Auch wenn vielen dieser Mythos bekannt ist, gibt es verschiedene Versionen und Interpretationen, die ihn erst so interessant machen. Oftmals wird mit der Büchse von Pandora nur Negatives verbunden, immerhin hat sie das „Böse“ auf die Welt gebracht. Dabei ist dieser Mythos fast schon eine Art Sinnbild für Balance. Die Etymologie der Namen der Hauptakteure zeigt, dass Pandora sich aus dem Präfix pan für „alle“ und doron für Geschenke zusammensetzt. Daher wird ihr Name neben „Allschenkende“, auch häufig als „Allgebende“ übersetzt. Die Implikation hier ist, dass „Allgebend“ und „Allbeschenkende“ sowohl das Böse als auch das Gute umfasst, ein Thema, das auch eng mit dem Prometheus-Zyklus verbunden ist.

Das Feuer, das Prometheus der Menschheit bringt, wärmt, kann aber auch brennen und verbrennen. Auf tieferer Ebene wird hier auf die Balance und die Wechselwirkung, sowie die binäre Natur der Dinge eingegangen. Ohne das Unglück aus der Büchse, gäbe es dann überhaupt Motivation zur Hoffnung? Wie wird gut ohne entsprechendes Gegenteil erklärt, um es zu kontrastieren? Oder (an alle Sandman Fans von Neil Gaiman), wie Morpheus im Kampf gegen Lucifer Morgenstern kontert: “What power would hell have if those imprisoned here would not be able to dream of heaven?” (Welche Macht hätte die Hölle, wenn die hier Inhaftierten nicht in der Lage wären, vom Himmel zu träumen?). Gut und böse voneinander zu trennen, ohne auf ihre gegenseitige Wirkung und ihren Kontrast einzugehen, ist genauso unmöglich, wie Arbeit und Leben klar voneinander zu trennen und zu definieren.

Die drei großen K – Kultur, Kapitalismus und Kritik

Die große Vielfalt an Berufsfeldern innerhalb der Kulturbranche lässt eine Reflexion über die Perspektive jede:r Kulturarbeiter:in zum Thema sicherlich nicht zu. Das liegt daran, dass die Arbeit bei vielen Menschen in Phasen von statten läuft – so haben beispielsweise Festivalveranstalter:innen im Sommer wohl kaum eine freie Minute, während Künstler:innen häufig individueller auf ihre eigenen Interessen und dem Wunsch nach Freizeit eingehen können. Zudem ist es immer eine aktive Entscheidung und unterliegt der eigenen Verantwortung, wie und wann die Trennung von Berufs- und Privatleben stattfindet – oder ob eine Trennung überhaupt umsetzbar ist. Auch hier ist wieder ein Kritikpunkt zu finden: Durch die schlechte und häufig nicht planbar konsekutive Bezahlung in der kulturell kreativen Berufswelt ist die Rede oft von Work-Work-Balance, da verschiedene Berufe oft in Voll- und Teilzeit miteinander vereinbart werden müssen. Das monetäre Problem ist vielen Menschen in der kulturellen Branche zwar auffällig negativ im Gemüt, aber im Kultursektor arbeitet man häufig des Engagement und Herzblutes wegen, weshalb Anerkennung und symbolische Bedeutung für viele wichtig ist. Und diese Suche nach Anerkennung durch getane Arbeit wirkt sich direkt auf die individuelle Balance aus – hat man Power und Energie, geht man über Grenzen und merkt meist erst zu spät, wenn die Flamme erlischt.

Work-Life-Balance, Integration oder Blending?

Sowohl Work-Life-Integration als auch Work-Life-Balance sind Methoden, um ein Gleichgewicht zwischen persönlichem und beruflichem Alltag zu erzielen. Der Hauptunterschied zwischen Work-Life-Integration und Work-Life-Balance liegt darin, wie das Gleichgewicht erreicht wird. Bei der Work-Life-Balance geht es darum, einen Idealzustand zu erreichen, indem Arbeit und Leben getrennt voneinander existieren; die Work-Life-Integration hingegen will Arbeit und Leben näher zusammenzubringen. Anstatt eine harte Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit zu ziehen, vereinbart man verschiedene Aufgaben und legt diese, so wie sie für einen günstig sind. Bedeuten tut das, dass einfach ab und zu später mit der Arbeit begonnen wird, um sich am Morgen auf ein persönliches Projekt zu konzentrieren, oder dass nach dem Feierabend E-Mails beantwortet werden. Mit anderen Worten: Bei der Work-Life-Integration werden alle täglichen Aktivitäten als Ganzes betrachtet und es wird weniger Wert auf eine strenge Aufteilung gelegt. Wenn man Arbeit und Freizeit komplett verschmelzen will, gibt es dafür auch schon einen Modebegriff: Work-Life-Blending, ein Arbeitszeit- und Freizeit-Smoothie.

Es ist kein Zufall, dass Work-Life-Balance in unserer zunehmend mobilen und stressigen Zeit zum Modewort avanciert ist. Vielmehr zeigt sich dadurch, die eingreifende Hand das kapitalistische System, das versucht sinkende Leistung und Produktivität eines Einzelnen frühzeitig zu präventiveren. Bisher hat sich das Zusammenspiel von Leistung und Gesundheit in den bisherigen Managementansätzen nicht etabliert. Hier geht es hauptsächlich um das kurzfristige maximale „Abgreifen“ von Leistung und Gewinn. Eine Integration von Leistungsfähigkeit und der Gesundheit eines Einzelnen, ist dabei eher rein zufällig. Wann der Einzelne mit seiner Aufgabe überfordert ist, wird erst bemerkt, wenn Leistungsfähigkeit und Produktivität sinken.

Alles nur ein Mythos?

Work-Life-Balance klingt an sich cool, ist aber im Kern genauso ein Mythos wie die Büchse von Pandora. Work-Life-Balance scheint sich als zu erreichendes „Sehnsuchtsziel“ in unserem Bewusstsein verankert zu haben. Nur wer Arbeits- und Privatleben im Griff hat, ist cool – vielleicht sogar dann Influencer:in. Dass der Begriff selbst ein Oxymoron ist, also ein Wort, zusammengesetzt aus zwei, sich widersprechenden Worten, fällt dabei vielen gar nicht erst auf. Arbeit und Privatleben, wie Gut und Böse, Himmel und Hölle, werden hier als zwei Pole angesehen, die es nicht gibt: Denn wer arbeitet, der lebt auch – da gibt’s keinen Gegensatz. Gerade jetzt, wo die Grenzen zwischen Arbeit und Leben mehr und mehr verschwimmen, braucht es neue Vorschläge. Der notwendige Paradigmenwechsel muss in Zukunft heißen: Weg vom Kriterium „kurzfristiges maximales Abgreifen“ hin zum Kriterium „nachhaltige Leistung durch Gesundheit“. Gesunde Mitarbeiter:innen, Führungskräfte und auch Unternehmer:innen leisten einfach mehr. Aber wie soll das funktionieren?

Es ist wichtig, dass Betriebe zusammen mit ihren Mitarbeiter:innen arbeiten und Grenzen richtig setzen. Passiert dies nicht, kann es schnell zum Rückgang von Zufriedenheit und Produktivität kommen. Eine gute Atmosphäre für Work-Life-Integration wird durch Flexibilität geschaffen. Betriebe sollte ihren Mitarbeitenden die Wahl geben, wann, wo und wie sie ihre Arbeit erledigen können. Manche beruflichen Rollen können nicht überall ausgeübt werden, aber solange es die Rolle erlaubt, sollten Mitarbeitende frei bestimmen können, inwieweit sie ihre Arbeit und ihr Privatleben integrieren möchten. Zweitens sollte ein Betrieb die adäquate Technologie bereitstellen: Messaging-Apps, Telefonkonferenz-Tools und gemeinsam genutzte Online-Arbeitsbereiche, die von überall und jederzeit abrufbar sind. Außerdem sollte Interaktion unter Mitarbeitenden priorisiert werden. Wenn Arbeitnehmer:innen sich entscheiden, einen Großteil ihrer Arbeit außerhalb des Büros zu erledigen, muss sichergestellt sein, dass es dennoch Raum und Zeit für persönlichen, aber auch beruflichen Kontakt gibt. Wichtige Informationen müssen ohne Probleme an alle Mitarbeitenden übermittelt werden, egal ob es Dokumente, Projekte oder Einladungen sind. Niemand sollte erwarten, dass Arbeit und Privatleben komplett miteinander verschmelzen und die Möglichkeit muss gegeben sein, sich klare Grenzen setzen zu können. Da muss sich nicht nur die Kulturbranche, sondern vor allem auch der Staat an die Nase fassen. Durch das Pandorama haben wir wohl alle gelernt, wie wichtig körperliches, aber auch mentales Wohlbefinden ist. Keiner kann sagen, wie Work-Life-Balance oder -Integration aussieht. Genauso wenig gibt es einheitliche Rezepte für den gesündesten Work-Life-Smoothie, das muss und sollte jede und jeder für sich selbst bestimmen. Die Büchse der Pandora ist bereits geöffnet, vielleicht ist es an der Zeit dem „Bösen“ ein wenig mehr zu kontern.