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11 Fragen an Selina Pfrüner

„Ich bin nach wie vor beeindruckt von allen Kulturschaffenden, die einfach durchgehalten haben, in dieser langen Corona-Durststrecke.“ – Selina Pfrüner

Jérôme Lenzen hat viele Fragen. Elf davon stellt er Kulturschaffenden in Köln. Das Besondere? Die Fragen bleiben identisch; die Befragten jedoch wechseln durch. Dieses Mal har Jérôme seine Fragen Selina Pfrüner gestellt.

© Marina Weigl

Selina Pfrüner ist freischaffende Fotojournalistin und Fotokünstlerin und arbeitet in den Bereichen Portrait und Reportagen überregional / europaweit für Magazine & Corporate Publisher, Unternehmen, gemeinnützige Organisationen und als Fotodozentin an der FH Dortmund. In Auftragsarbeiten sowie freien künstlerischen Projekten liegt ihr Fokus auf sozialen, gesellschaftlichen und Nachhaltigkeitsthemen. Ihr letztes Multimedia Projekt „Munaqabba – über Frauen in Vollverschleierung in Deutschland“ hat vielerorts sehr diverse Reaktionen hervorgerufen. Daraufhin veranstaltete sie gemeinsam mit HateAid & LoveStorm im Juni 2021 ein Online Symposium zum Thema Debattenkultur: Gegen Hass im Netz – speziell für Kunst- und Kulturschaffende sowie Fotojournalist*innen. Im Winter 2021/22 soll es eine Fortsetzung davon geben.

Zusätzlich vermittelt Selina als geprüfte, zertifizierte Mediatorin bei privaten und beruflichen Konflikten. Speziell in der Kultur- und Kreativszene sowie bei Freundschaften. Aktuell meist online. Zu den Themen Krisenmanagement, Konfliktprävention, Selbstfürsorge, Lösungsstrategien und Mediation betriebt sie den Podcast ZwischenUns – überall zu hören, wo es Podcasts gibt.

Wofür steht die Kölner Kultur (respektive was ist typisch für Köln)?

Eine gewisse Offenheit und Diversität, würde ich sagen. Und diese „Et kütt wie et kütt“ und „et hätt noch immer jot jejange“ Gelassenheit. Gepaart mit der faszinierenden Eigenschaft bei jeder, aber auch wirklich jeder Gelegenheit das Kostümchen aus dem Keller zu holen und zu Karnevalsliedern durch die Stadt zu ziehen. Auch wenn der Anlass vielleicht gerade eine Antirassismus oder Fridays for Future Demo ist. 

Trotz Millionenstadt, fühlt sich alles irgendwie familiär und positiv überschaubar für mich an. Veedelscharakter und so. Obwohl Köln nach dem Wiederaufbau nun wirklich keine Schönheit wurde, fiel mir das als visueller Person erst nach Jahren wirklich auf (– diese Fliesen an den Außenwänden vieler Häuserfassaden sind ja schon echt speziell). Die rheinische Frohnatur und Offenherzigkeit der Kölner*innen hat das für mich glatt überstrahlt. 

Welche Kulturveranstaltung in Köln (Ausstellung, Festival, etc.) hat Dich zuletzt vom Hocker gehauen?

Wenn auch schon ein paar Tage her, hat mich doch die Inszenierung „Die Lücke“ von Nuran David Calis am Schauspiel Köln ziemlich fasziniert und nachhaltig inspiriert. Über den Nagelbomben-Anschlag 2004 wortwörtlich nebenan in der Keupstraße. Diese Mischung aus Zeitzeugen, die sich selbst darstellen, inszenierter Dialog und Videoein- und Überblendungen, sowie vorab eine Führung von Betroffenen durch die Keupstraße, das alles zusammen, hat mich sehr bewegt. 

Ausserdem mag ich die C/O Pop Veranstaltungen immer sehr. Der Mix zwischen Konzerten an öffentlichen Plätzen, in kleinen Locations und größeren Hallen. Natürlich das Photoszene Festival. Die ist immer mit soviel Liebe und Engagement organisiert. Da schau ich mir immer so viel wie möglich an. Ich tingel gerne über die Art Cologne und den KHM Rundgang. Zusätzlich zur Kunst sind da auch immer sehr interessante Leute unterwegs. Der Jour Fix, ein kleines feines (derzeit Online) Format des Kunstsalon ist immer bereichernd. Da sitz ich dann schon mal Sonntags beim Frühstück mit dabei und höre mir was über spannende Bücher oder Arthouse Filme an. 

Und wo hast Du Dir mehr erhofft?

© Marina Weigl

Ich bin großer Fan von Carolin Emcke, hatte ihr Buch „Gegen den Hass“ u.a. für mein Projekt Munaqabba verschlungen. Da war ich doch eher irritiert über die effekthascherische Inszenierung dieses großartigen Texts im Schauspiel Köln. 

Gibt es eine/n Kulturschaffende/n in Köln, die/der von Dir besonders bewundert wird? 

Ich bin nach wie vor beeindruckt von allen Kulturschaffenden, die einfach durchgehalten haben, in dieser langen Corona-Durststrecke. Kleine Clubs, Programmkinos und Ausstellungslocations, wie der Fotoraum. Persönlich bin ich großer Fan von der Kuratorin und Galeristin Janine Koppelmann von Kunstwerk Nippes, die u.a. als Teil von Artrmx e.V. Projekte mit einer immensen Energie und soviel Herzblut, Durchhaltevermögen, einer positiven Einstellung und Kreativität realisiert. Für alles findet sie immer einen Weg. Das ist wirklich beeindruckend. Ganz liebe Grüße an dieser Stelle 🙂 

Ai Wei Wei hat Berlin unter großem Getöse verlassen, welchen Kulturmenschen hättest Du gerne in Köln?

Na Ai Wei Wei könnte es ja mal mit Köln probieren 🙂 oder wie Katharina Klapdor auch schon so schön meinte: Marina Abramovic. Das wär schon gut. Ansonsten fänd ich Menschen wie Carolin Emcke oder Ferdinand von Schirach spannend.

Neue Oper, neue Museen, neuer Dom? Was für ein Gebäude wünscht Du dir für Köln?

Na so wie es die Photoszene schon virtuell initiiert hat und derzeit auch meine Videoarbeit Munaqabba zeigt, wäre eine tatsächliche, physische „New Photo – Kunsthalle für Fotografie“ schon ziemlich großartig. 

Ansonsten weiss ich gar nicht, ob es EIN Gebäude sein müsste. Ich fänd es wertvoll, wenn noch mehr Kunst und Kultur im öffentlicher Raum möglich wäre, längerfristige  Zwischennutzungen wie in den Opelhallen geplant aber noch nicht umgesetzt werden konnte. Mehr öffentliche Plätze für Freizeit und kulturelles Beisammensein etabliert oder ausgebaut werden.  

Und welches gibt es schon, dass Dir besonders gefällt?

Auch wenn es damals aus der Not heraus geboren wurde, muss ich sagen, dass ich das Depot im Carlswerk, die Interimstätte des Schauspiel Köln wirklich sehr mag. Diesen experimentellen, „temporären“ Charakter birgt für mich manchmal mehr Potential für Kreativität als die perfektesten Gebäude.

‚Kultur lebt in Köln‘ heißt der neue Slogan des Stadtmarketing: Was wäre Deiner?

Slogans kann man vielleicht auch immer mal wieder als Zielrichtung lesen. Von daher gedacht: Was können wir noch tun, um das weiter wahr werden zu lassen? Jeder kann was beitragen, sich engagieren, selbst was initiieren, die vielfältigen kulturellen Angebote wahrnehmen und unterstützen!

In Berlin schließen die ersten Clubs, wird jetzt Köln zur Nummer 1 oder doch Wuppertal?

Die eine nimmt der anderen ja nichts weg, wenn es überall eine Club Kultur gibt. Ist ja völlig egal, wer da an 1. Stelle steht. Wichtig ist doch, dass der „Bedarf“ gedeckt wird und die überleben bis gut davon leben können, die diese Orte schaffen und betreiben. Das sollte jedem gegönnt sein. Daher hoffe ich sehr, dass sich Mittel und Wege finden, die lokalen Clubs durchzubringen oder neue Konzepte aufleben lässt. 

Ehrenfeld wird teurer, wo ist die Freie Szene jetzt noch zu Hause?

Wahrscheinlich Ich weiss gar nicht so genau, ob ich die Richtige bin, um das zu verorten. Mein Eindruck ist, dass es schon immer quer durch die Stadt verteilt war. Am Ebertplatz, in Poll. Vielleicht tummelt sich mittlerweile mehr auf der Schäl Sick. In Deutz, Mülheim oder in Kalk. Am besten mal z.B. bei der langen Nacht der Museen die eingetretenen Pfade verlassen und Routen wählen, die einem noch unbekannt sind. Da entdeckt man ganz bezaubernde neue Locations.

Wem sollen wir diese Fragen als nächstes stellen?

Janine Koppelmann, Kai Kullen, Iren Tonoian, Ulla Egbringhoff, Nahal Tavangar.