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Nachhaltigkeit durch New Work

von Janine Henn

Während New Work etwas Neues, sich vom Aktuellen abhebendes definiert, klingt die synonym verwendete Bezeichnung Future Work nach etwas, das in ferner Zukunft liegt. Kein Wunder also, dass New Work sich durchgesetzt hat, denn wir wollen die Veränderung, die wir jetzt planen, gerne noch miterleben oder zumindest, bevor unsere Welt dem Klimawandel zum Opfer fällt, wirksam werden lassen.

Wenn wir die Veränderung bereits leben möchten, sollten wir uns fragen: Wie bewirken wir diese Veränderung und was müssen wir dazu wissen?

Als Ziele können zwei Aspekte festgelegt werden: eine gesteigerte Zufriedenheit im beruflichen Kontext für möglichst viele und mindestens genauso sehr ein Fokus auf gesteigerter Nachhaltigkeit im Arbeitsalltag. Ein solcher Wandel wäre für unsere Gesellschaft großartig, braucht aber seine Zeit.

Alle Facetten einer Unternehmensstruktur sind für diesen Prozess relevant. Wir können unsere Hierarchien und Organisation hinterfragen und auch die Art und Weise, wie Arbeitsprozesse und Projekte vonstattengehen. Wir wurden – in den letzten zwei Jahren in besonderem Maße – gezwungen zum Umdenken bei Arbeitszeiten und den Orten, an denen wir arbeiten. Wir können – und das speziell in puncto Nachhaltigkeit – über unsere Tools nachdenken, die digitalen wie die analogen.

Auf der Suche nach dem place to be

Im Zusammenhang mit New Work ist häufig die Rede vom Arbeitsplatz der Zukunft. In der Theorie sind damit alle erdenklichen Orte weltweit gemeint, die Praxis kann meistens doch nicht so viel Minimalismus vertragen: Technische Ausstattung und Internetverbindung sind ebenso unverzichtbar wie Sitzgelegenheit und Tisch. Digitale Tools machen es möglich, dass aber die klassischen Firmen mit vielen aneinandergereihten Büros obsolet werden. Und auch wenn so manche von uns Gesellschaft schätzen, träumen die Wenigsten von einem Großraumbüro. Dein place to be unterscheidet sich von meinem, aber sollten wir in der gleichen Branche tätig sein, wäre es doch für unsere Zusammenarbeit gut, wenn beide Vorstellungen umsetzbar sind.

Menschliche Bedürfnisse

Ein großer Teil unserer Gesellschaft lebt nach wie vor an nur einem Ort. Gerade hinsichtlich der Familiengründung ist es vielen wichtig, ein Umfeld von Beständigkeit zu haben. Und wer schon öfter umgezogen ist, kennt auch die Herausforderung, die damit einhergeht, sich in einem neuen Ort schnell zurechtzufinden. Wir verbinden positive Gefühle damit, uns an einem Ort eingelebt zu haben. Wir formieren uns in Netzwerken und finden unseren Platz. Wir passen uns in dem Maße an, das uns und anderen ein Wohlgefühl beschert.

Dennoch verbinden wir mit moderner Arbeit wiederum eine Unabhängigkeit von einem festen Standort. Unsere eigenen Vorstellungen von einem Wohlfühl-Arbeitsumfeld erscheinen wie ein Paradoxon.

Mit der Digitalisierung ins Gleichgewicht

Wie kann es sein, dass manche Teams den Umstieg auf digitale Kommunikation so wunderbar aus dem Homeoffice gemeistert haben, und andere so gar nicht? Die meisten von uns sind spätestens seit 2020 mit der Remote-Arbeit vertraut und kennen ihre Vorteile. Der zum Teil lange Arbeitsweg fällt weg und spart genügend Zeit ein, um an anderer Stelle Pausen einzulegen, und das ganz ohne, dass es irgendjemand merkt. Leider bekommt dann auch niemand mit, dass man gerade nicht verfügbar ist und im schlimmsten Fall muss das private Telefon, das wir gerne immer dabeihaben, auch für die beruflichen Belange genutzt werden muss. Eine Belastung der Mitarbeitenden, die sich aber durch Diensttelefone umgehen lässt. Ratsam ist an der Stelle vielleicht auch ein Meeting-freier Zeitraum von beispielsweise 12 bis 14 Uhr, damit dort alle Mitarbeiter:innen ihre Pause auch wirklich nehmen können und entsprechend Energie tanken für den arbeitsreichen Nachmittag. Schließlich fällt ein ganz wichtiger Faktor weg: die Kaffeepause mit den Kolleg:innen. Selbst eine luxuriös ausgestattete Küche kann das Feeling des Kaffees mit den Lieblingskolleg:innen nicht ersetzen.

Der gute alte Kaffee

Ist es nun clever, in einer Stellenausschreibung mit gutem Kaffee am Arbeitsstandort zu werben oder sollte es vielmehr eine Selbstverständlichkeit für jeden Arbeitgeber sein, Kaffee zur Verfügung zu stellen? Und was ist mit den völlig vernachlässigten Tee-Trinker:innen?

In puncto Kaffeekultur lässt sich auch tiefer blicken – nicht tiefer in die Tasse, sondern zu den Ursachen, die einen hohen Konsum bewirken. Ganz allgemein sollte man doch meinen, dass wir Menschen leistungsstark genug sind für die Anforderungen, die uns in einem für uns geeigneten Job begegnen. Aber nein, wir sind unausgeschlafen und fordern in vielen Fällen sicherlich auch mehr von unserem Körper als ihm guttut, erstrecht in einem Job, den wir mögen. Deshalb brauchen wir mehr Zucker oder eben Koffein – am besten gleich beides, um die Kopfschmerztablette hinunterzuspülen.

Trinken wir also wirklich so viel Kaffee, weil wir den Schlaf nicht auf unserer To-Do-Liste stehen haben, so ist es nicht förderlich, dass wir in diesem Verhalten auch noch unterstützt werden. Das Angebot von Kaffee am Arbeitsstandort bedingt also auch, dass dort unausgeruhte Arbeitskräfte sitzen, die gerne Überstunden leisten oder- noch schlimmer – so Dienst nach Arbeit leisten. Ersteres ist die Vorstufe zur Frustration oder einem Burn-Out, zweiteres resultiert aus der Frustration. Das ist nicht die Schuld des Arbeitgebers, sondern mittlerweile tief in der Arbeitsmoral unserer Gesellschaft verankert. Die Produktivität muss aufgrund der starken Konkurrenz schließlich größtmöglich gesteigert werden. New Work steuert dem genau entgegen.

„die Arbeit, die man wirklich, wirklich machen möchte“[1] – wirklich!

Am allermeisten schlägt uns sicherlich aufs Gemüt, dass wir uns mit Aufgaben konfrontiert sehen, die wir nicht gerne machen. Für dieses Gefühl können Faktoren ausschlaggebend sein wie der Mangel an Sinnhaftigkeit, der Umfang einer Aufgabe, unklare Aufgabenverteilung oder auch Mitarbeiter:innen, die nicht am gleichen Strang ziehen.

Die Anfänge einer beruflichen Frustration sind allzu oft auch mit einer Umstrukturierung verbunden, ob in einem bereits bestehenden oder einem neu zusammengewürfelten Team. In beiden Fällen muss Einigkeit darüber herrschen, dass alle bereit sind, die ihnen zugeordneten Aufgabenbereiche zu bearbeiten. Im besten Falle bekommen alle die Möglichkeit, ihre Wünsche diesbezüglich auf Grundlage der eigenen Fähigkeiten und Interessen mit einfließen zu lassen.

Wer seine Mitarbeitenden gut kennt, kann auch besser beurteilen, wer für welche Aufgaben gut geeignet sein könnte. Zu New Work gehören also Diskursinterviews – jeder und jede sollte zu Wort kommen können.

Das alles klingt nun danach, dass die Verantwortung hauptsächlich beim Management liegt, also der Leitung von Abteilungen oder Teams und erst recht der Unternehmensleitung. Jedoch – Eigenverantwortung ist die Haltung, die wir im Zuge von New Work einnehmen sollten.

Mensch x oder Mensch y

Zwei witzige Theorien, die Douglas McGregor in den 1960er Jahren entwarf, teilen die Menschheit in ihrer Arbeitsmoral in zwei Gruppen ein. Theorie x besagt, dass Menschen von Natur aus faul und unkreativ sind, Aufwand vermeiden und immerzu Anreize von außen benötigen, um etwas zu leisten. Die zweite Theorie, die Theorie y, beschreibt die Menschen als engagiert, intrinsisch motiviert, kreativ und erschaffend, selbstorganisierend und nach Verantwortung suchend. Spannend ist dabei, dass wir uns selbst nicht als Mensch aus der Theorie x einordnen, andere aber deutlich öfter als solche wahrnehmen. Diese anderen beurteilen wir deshalb als von Natur aus faul, weil wir ihr Verhalten im Arbeitskontext auf die Persönlichkeit beziehen. Doch der Kontext ist hier wichtigster Faktor, denn im Grunde sind diese Mitarbeitenden nicht faul, sonder     n nur optimal an das bestehende System, den Kontext also, angepasst. Wir optimieren uns immer in unserem System. Verändern muss- und wird – sich also das System; verändern werden sich unsere Unternehmensstrukturen. Das geschieht auf allen Ebenen, durch alle Hierarchien hindurch.[2]

Design Thinking wird eingesetzt, um kundenorientierte Dienstleistungen und Produkte zu entwickeln. In dem Moment, in dem wir die Zufriedenheit unserer Kunden in den Vordergrund stellen, funktionieren unsere tradierten Arbeitsabläufe nur bedingt – nämlich genau so lange, bis eine Ausnahme auftritt. Kreativität ist notwendig, um den Kundenwunsch umzusetzen ohne dabei interne Richtlinien zu missachten. Allzu häufig muss eins von beiden aber dann doch leiden. Wir alle waren schon einmal unzufriedene Kunden, weil auf der anderen Seite die Flexibilität fehlte.

Kein Frust im Bewerbungsprozess

Die gute Nachricht lautet: New Work geschieht bereits. Das sehen wir auch im Bewerbungsverfahren – oder aus welcher Intention heraus wurden die

schnellen Bewerbungsverfahren entwickelt, in denen man per Verlinkung auf Instagram auf eine knappe Umfrage geleitet wird und zum Schluss noch die E-Mail-Adresse als Kontaktmöglichkeit eingetippt wird und das war‘s?

Gäbe es tatsächlich die Bewegung hin zu einer Bemühung von Arbeitgeber:innen um Arbeitnehmer:innen, so könnten diese kurzen Bewerbungsverfahren dazu beitragen, dass die Bewegung schneller voranschreitet. Wir sparen dabei an der Ressource Zeit und haben im besten Falle auf beiden Seiten einen geringeren Energieaufwand.

Durch die Möglichkeit, dass Arbeitgeber:innen öffentlich für alle sichtbar bewertet werden können[3], besteht ein Handlungsdruck auf dieser Seite. Und die Gelegenheit, Bewertungen zu schreiben, das wissen wir nur zu gut, nutzen am häufigsten die Unzufriedenen.

Diese drei Schritte zu New Work…

…gibt es nicht!

„Es geht nicht darum, „New Work zu machen“ – es geht darum, New Work zu fühlen. Und dann zu machen. New Work impliziert, dass sich jeder Mensch in seinem Arbeitsumfeld wohl fühlt, Sinnhaftigkeit in seiner Aufgabe erkennt sowie Passion und Kompetenz zusammenbringen kann. Diese neue Art zu arbeiten verfolgt die zentralen Werte Selbstständigkeit, Freiheit und die Teilhabe an der Gemeinschaft. Diese runter zu brechen auf unsere moderne Arbeitswelt ist die Aufgabe, der wir nachkommen müssen.[4]

New Work können wir nicht einführen, es findet statt und wir sind gezwungen, uns damit zu beschäftigen, uns mit der eigenen Organisation und Arbeitsweise auseinanderzusetzen. Eine New Work-Maßnahme (oder Veränderung, die wir für eine solche Maßnahme halten) ist nur so lange new, bis unser gesellschaftlicher Wandel wieder neue Anpassungen herausfordert.

Als Antwort auf die Frage, wie wir Veränderung bewirken können, ergibt sich also: Wir sollten unsere menschlichen Bedürfnisse verstehen lernen und die Veränderung, die ja bereits geschieht, immer wieder mit in unsere Arbeitswelt integrieren.

Meine ganz persönliche Motivation, mich mit New Work auseinanderzusetzen, ist das Resultat hoher Unzufriedenheit mit dem Arbeitsmarkt oder wie ich ihn bisher kennengelernt habe. Bei mir waren es oft nur Nebenjobs und darüber war ich meistens auch froh, denn für mich bedeutete es, ich bin nicht gezwungen, alles zu geben. Ich habe noch mein Studium und steuere auf etwas anderes, besseres hin. Immer mit der Angst verbunden, dass es etwas Besseres vielleicht gar nicht gibt und gleichzeitig mit der Hoffnung, dass ich es eines Tages mir selbst erschaffen kann. Vielleicht denke ich ja schon in New Work, wenn ich mir ganz sicher bin, dass der Zeitpunkt, an dem ich den Rat meiner Eltern und Großeltern folge und mich ‚endlich festlege‘ niemals kommen wird. Schreibt doch gerne, welche Anforderungen ihr für veraltet und oder wenig nachhaltig haltet.

 

[1] So die New Work – Definition von Fritjof Bergmann, der Begründer des Begriffes und der Bewegung zu „New Work“, Bergmann, F. (2017). Neue Arbeit – Neue Kultur (6. Auf.). Freiburg: Arbor.

[2] Dieser Abschnitt bezieht auch folgendes Youtube-Video mit ein: https://youtu.be/GpXeerWFbJk

[3] Auf Plattformen wie beispielsweise kununu und glassdoor

[4] Jobst-Jürgens, Vanessa: New Work. Was relevante Arbeitnehmergruppen im Job wirklich wollen – eine empirische Betrachtung, Wiesbaden 2020