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Musikver- Was? – über den Beruf eine*r Musikvermittler*in

Von Lea Güldenring

„Ah, eeh Musikvermittlung. Interessant. Und… eh… was ist das?“ Diesen Satz – gepaart mit einem leicht verwirrten, aber neugierigen Gesichtsausdruck – bekomme ich meistens zu hören, wenn ich erzähle, welches Studienfach ich studiere. Kein Wunder: ,Musikvermittlung‘ ist ein genauso unbekannter wie weit gefasster Begriff und noch dazu gerade im wissenschaftlichen Kontext ein vergleichsweise junges Feld. Was ist das also, diese Musikvermittlung? Und wie sieht der Berufsalltag eines/r Musikvermittler*in aus?

Die Schnittstelle zwischen Musik und Öffentlichkeit

„Musikvermittlung gestaltet die Schnittstelle zwischen Musik und Öffentlichkeit. Sie fragt: Was könnte potenziell zwischen Musik und einem ganz diversen Publikum stehen und was können wir dafür tun, dass die Musik bei den Menschen ankommt?“

~ Wiebke Rademacher, freiberufliche Musikvermittlerin

© Leonard Higi

So plump es auch klingt: In der Musikvermittlung geht es darum, Menschen Musik zu vermitteln – also eine Beziehung zwischen der Musik und den Menschen herzustellen. Dies kann auf allen möglichen Wegen geschehen. Die wohl klassischste Form der Musikvermittlung ist die Konzertpädagogik. Angesiedelt in klassischen Konzerthäusern, geht es hierbei darum, Konzerte für eine bestimmte Zielgruppe pädagogisch aufzubereiten: sei es in Form von Kinderkonzerten, Einführungsvorträgen für interessierte Besucher*innen oder durch begleitete Konzertbesuche für Menschen mit Demenz – um nur einige Beispiele zu nennen. Gerade für große Konzerthäuser ist es inzwischen selbstverständlich, eine meist als „Education“ bezeichnete Abteilung mit eigenem Personal zu haben. Die musikvermittlerischen Tätigkeiten der Education-Abteilung beschränken sich aber nicht nur auf die Konzerte selbst. Auch digitale Vermittlungsformate, aufsuchende Angebote oder Projekte mit Schulen können beispielsweise dazu gehören. Es ist zudem ein Irrglaube, dass Musikvermittlung nur im Strahlkreis großer Konzerthäuser stattfindet. Denn Musik an Menschen nahebringen – das geht überall. In offenen Jugendeinrichtungen, im Radio, in Senior*innenheimen, im Rahmen von Festivals, in therapeutischen Kontexten… Musikvermittlung taucht in den vielfältigsten Zusammenhängen auf. Und auch ihr Selbstverständnis besteht schon längst nicht mehr aus der konventionellen Vermittlung klassischer, „ernster“ Musik. Es gibt einen weit verbreiteten Trend in der Musikvermittlung, den Musikbegriff radikal zu öffnen und sich vom elitären, kompetenzorientierten Musikverständnis zu entfernen. Nach dem Motto: Alles ist Musik und jeder Mensch ist in der Lage, Musik zu gestalten – Offenheit, Partizipation und Inklusion sind entscheidende Grundsätze der Musikvermittlung geworden.

„Ein großer, bunter Blumenstrauß an Tätigkeiten.“

Wiebke Rademacher © Sophia Hegewald

Was aber macht ein Musikvermittler oder eine Musikvermittlerin nun im Berufsalltag? Diese Frage lässt sich am besten von einer Expertin selbst beantworten. Die Kölnerin Wiebke Rademacher ist freiberufliche Musikvermittlerin. Sie engagiert sich im Education-Bereich bei PODIUM Esslingen, einer Plattform für Innovationen im Bereich der klassischen und zeitgenössischen Musik, die sich zum Ziel setzt, neue Kontexte für klassische Konzerte zu schaffen. Darüber hinaus hat sie bereits unter anderem beim Gürzenich Orchester und bei der Deutschen Kammerakademie Neuss als Musikvermittlerin gearbeitet. Parallel hat Wiebke 2020 ihre Dissertation mit dem Titel „Jenseits der Konzertsäle. Klassische Musik für breite Bevölkerungsschichten in Berlin um 1900“ abgeschlossen und doziert an verschiedenen Hochschulen in den Fächern Musikwissenschaft und Musikvermittlung.

Auf die Frage, welche Tätigkeiten ein*e Musikvermittler*in ausführt, hat Wiebke eine ,klare‘ Antwort: „Das ist ein sehr weites Feld“. Als sie 2014 bei PODIUM Esslingen startete, ging es zunächst vor allem darum, eine Education-Strategie für PODIUM zu entwickeln: Wie könnte sich PODIUM Esslingen im Education-Bereich positionieren? Was wären sinnvolle Reihen oder Veranstaltungsformate? Heute, sieben Jahre später, könnten ihre Aktivitäten kaum vielfältiger sein. Neben sehr praktischen Tätigkeiten wie der Durchführung von Workshops mit Jugendlichen oder der Moderation von Konzerten zählen auch konzeptionelle und organisatorisch-verwalterische Tätigkeiten zu ihren Aufgabenbereichen. Konzeptentwicklung, Programmheftgestaltung, Kommunikation mit Schulen, Förderanträge, Repertoire-Auswahl… all diese Dinge begegnen Wiebke in ihrem Beruf als Musikvermittlerin. Auch ungewöhnliche Aufgaben können mal anfallen: „Einmal musste ich ein Bühnenbild und Kostüme für ein Gastspiel in die Schweiz verschicken und mich mit den komplizierten Zollregelungen auseinandersetzen. Solche profanen Dinge zählen auch manchmal dazu.“

Für Wiebke ist die Vielfältigkeit das Besondere an ihrem Beruf. Auch wenn der grundsätzliche Wunsch nach Musikvermittlungsformaten meist sehr groß sei, hätten die Veranstalter*innen oft keine genaue Vorstellung davon, wie diese aussehen sollten. Vorgaben fielen deshalb häufig sehr unspezifisch aus und als Musikvermittler*in sei man gefragt, eigene Ideen und Visionen einzubringen. Dies verhilft zur regelmäßigen Neufindung und verhindert ein schnelles Festfahren im Job. „Man kann ständig neue Ideen entwickeln und Projekte umsetzen, das finde ich einfach sehr abwechslungsreich und toll!“

Mit Mut und offenen Augen durch die Welt gehen – der Weg in die Musikvermittlung

Klingt nach einem ziemlich spannenden Beruf, oder? Aber wie werde ich überhaupt Musikvermittler*in? Es lässt sich schon ahnen: Wie in praktisch jedem kulturellen Beruf gibt es auch für die Musikvermittlung nicht die eine Laufbahn. Ähnlich wie bei der Museumspädagogik, die wir auf unserem Blog auch bereits thematisiert haben. Die Ausbildungswege heutiger Musivermittler*innen sind ähnlich vielfältig wie das Berufsfeld selbst. Manche Unis bieten einen Musikvermittlungs-Studiengang an. In Köln, Düsseldorf und Erfurt gibt es zum Beispiel den Bachelor-Studiengang „Musikvermittlung“, anderswo gibt es wiederum spezialisierte Master-Studiengänge, die beispielsweise auch an ein musikpädagogisches Lehramtsstudium angeschlossen werden können. Da ist dann auch mal so etwas Spezifisches dabei wie „Musik für Menschen im 3. und 4. Lebensabschnitt“ an der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen. Grundsätzlich gibt es um universitären Umfeld vielfältige Möglichkeiten, eine musikvermittlerische Ausbildung zu erhalten – alle im weitesten Sinne musikpädagogisch ausgerichteten Studiengänge bieten letztlich eine solide Grundlage für eine Tätigkeit in der Musikvermittlung.

Wiebke Rademacher
© Sophia Hegewald

Dass es dieses Angebot gibt, heißt aber noch lange nicht, dass alle Uni-Absolvent*innen zwangsläufig in der Musikvermittlung landen und dass umgekehrt nicht auch anderweitig Ausgebildete einmal erfolgreiche Musikvermittler*innen werden können. Viel entscheidender für die berufliche Laufbahn sind praktische Erfahrungen. Wiebke Rademacher hat spätestens durch ihr Engagement bei PODIUM Esslingen Blut geleckt. Ihr gefiel der Gedanke, durch Musikvermittlung die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit Musik miteinander verbinden zu können. Deshalb entschied sie sich vor ein paar Jahren, sich in den berufsbegleitenden Masterstudiengang Musikvermittlung an der Hochschule für Musik Detmold einzuschreiben. „Und dann bin ich sozusagen in dem Feld hängengeblieben.“

Wiebke rät allen, die den Weg in die Musikvermittlung wagen wollen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen: „Wo sind Formate, die mir gefallen, wo kann ich andocken, wo kann ich mitmachen?“ – Die Leute im Feld seien eigentlich immer froh, engagierte Personen zu haben, die Lust haben mitzumachen. Deshalb hat Wiebke eine klare Botschaft: Sei mutig und traue Dich, eigeninitiativ aktiv zu werden.  Mut haben – das ist für Wiebke generell essenziell im Feld der Musikvermittlung. Denn leider sorgten strukturelle Bedingungen häufig dafür, dass Musikvermittler*innen sowohl in Bezug auf Prestige als auch auf die Bezahlung relativ wenig Anerkennung bekämen. Man solle sich gerade deshalb mutig und selbstbewusst positionieren und für das, was man will, einstehen – auch für das, was man verdienen will: „Man sollte ganz viel Respekt vor sich selbst haben, vor seinen eigenen Werten, sich nicht klein machen, sondern wichtig nehmen. Man sollte sich sagen: ,Ich bin genauso entscheidend wie die Dirigent*innen oder die ersten Geiger*innen.‘ Das ist mein wichtigster Ratschlag.“

 

Ein paar Eindrücke zu Wiebkes Projekten könnt Ihr unter folgenden Links finden:

(1) PODIUM 2015 Podcast #3 PODIUM.Education Projekt „vier gewinnt“ – YouTube

(1) PODIUM 2016 | Podium.Education: VISION – YouTube

 

Quellen

https://www.podium-esslingen.de/team/wiebke-rademacher/

https://www.podium-esslingen.de/

https://artes.phil-fak.uni-koeln.de/index.php?id=30416

https://www.hf.uni-koeln.de/38522

https://www.rsh-duesseldorf.de/studiengaenge/bachelor/musikpaedagogik/

https://www.uni-erfurt.de/studium/studienangebot/bachelor/musikvermittlung

http://live.musikvermittlung-detmold.de/

https://van-magazin.de/mag/selbstbild-der-musikvermittlungsszene/