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Kunst als Mittel gegen psychische Erkrankungen

Kunst begleitet viele Menschen nicht nur in schönen, sondern auch in schwierigen Momenten. Vor einigen Wochen haben wir das Thema auf unserem Instagram-Kanal im Rahmen des Zitat der Woche thematisiert und mit unserer Community diskutiert. Eine unserer Followerinnen hat sich mit ihren Gedanken und Erfahrungen zu dem Thema persönlich bei uns gemeldet. Katrin Landsberg, 23 Jahre, hat ihren Bachelor 2020 in Medien- und Wirtschaftspsychologie abgeschlossen. Seit 2019 arbeitet sie in einer Kommunikationsagentur im Bereich Social Media/Content Creation. Da sie sich in ihrer Freizeit selbst der Kunst und künstlerischen Tätigkeiten widmet (ihre eigene Kunst könnt Ihr auf ihrem Insta-Account entdecken), hat sie auch dem Thema ihrer Bachelorarbeit einen künstlerischen Bezug gegeben: „Zwischen „Genie“ und „Wahnsinn“ – Die kreative Bewältigung psychischer Konflikte, insbesondere vor dem Hintergrund des Corona-Lockdowns 2020.“ Ganz besonders interessierte uns an ihrer Arbeit, wie eine Kreativtherapie bei psychischer Krankheit helfen kann und ob oder wie eine Kreative Selbsttherapie die Genesung unterstützen kann. Hierfür hat Katrin einen kleinen Gastbeitrag für uns verfasst!

von Katrin Landsberg

Kreativtherapie vs. Kreative Selbsttherapie

Kunst und Kreativität als Präventions- und Behandlungsmaßnahme gegen psychische Erkrankungen – ist dieser Zusammenhang nur Irrglaube, oder gibt es tatsächlich Anhaltspunkte für einen positiven Einfluss auf die mentale Gesundheit? Immer wieder hört man von Betroffenen, denen der Umgang mit künstlerischen Aktivitäten bei der Bewältigung schwieriger psychischer Phasen geholfen hat. Auch im therapeutischen Rahmen ist die sogenannte Kreativtherapie inzwischen fester Bestandteil vieler Einrichtungen, besonders in Hinblick auf die Rehabilitation. Beide Ansätze – zum einen der Umgang mit Kunst in Eigeninitiative, zum anderen aber auch die künstlerische Aktivität im therapeutischen Rahmen – sollen in diesem Blogartikel dargestellt werden.

Kreativtherapie

Der Begriff der Kreativtherapie ist kein klassischer Begriff aus einem Lehrbuch der psychosomatischen Medizin; dennoch wird in vielen Studien auf kreativtherapeutische Verfahren eingegangen. Er dient als Sammelbegriff für mehrere Therapieformen, in denen je ein künstlerisches Mittel genutzt wird, um neben der Sprache ein zusätzliches Medium des Ausdrucks zu schaffen. Unterschieden wird dabei normalerweise zwischen den vier Medien Drama, Kunst, Musik und Tanz – daraus ergibt sich die Drama-, Kunst- Musik- und Tanztherapie. In allen Therapieformen versuchen die Therapeut:innen, durch die jeweilige künstlerische Disziplin Zugang zu den Patient:innen zu erhalten. In der Regel finden die Sitzungen in Gruppen statt. Neben möglichen neuen Sichtweisen auf das, was die Patient:innen beschäftigt, hat die Kreativtherapie häufig noch weitere Vorteile: Der kreative Einsatz der eigenen Fähigkeiten und Stärken wird gefördert und dies kann wiederum einen positiven Einfluss auf die Stimmung der Patient:innen haben. Nicht selten weckt der Umgang mit künstlerischen Materialien, z.B. in der Kunsttherapie, große Freude an kreativem Gestalten.

Empirische Studien zur Wirkung der Kreativtherapie

Katrin hat ihre Bachelorarbeit über die kreative Bewältigung psychischer Konflikte geschrieben.

Besonders für den Bereich der Stressbewältigung ist die Kreativtherapie ein bewährtes Mittel. Eine Studie von Lily Martin und ihrem Team untersuchte 2018 beispielsweise 37 Fälle, in denen jeweils unterschiedliche Maßnahmen der Kreativtherapie zum Einsatz kamen, darunter musik-, kunst- und tanzorientierte Interventionen. Anschließend wurde untersucht, ob und in welchem Maß sich die einzelnen Interventionen auf das Stressniveau der Betroffenen auswirkte. Das Ergebnis: eine klare Verbesserung in 81% der Fälle nach den kreativtherapeutischen Maßnahmen. Viele weitere Studien zwischen 1997 und 2017 kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Wichtig zu bemerken ist hier aber, dass die Kreativtherapie „nur“ eine Ergänzung von weiteren therapeutischen Maßnahmen ist und besonders so die größten Erfolgschancen birgt.

Trotzdem stellt sich die Frage: Kann auch der private, eigenständige Umgang mit Kunst und kreativen Aktivitäten bei der Bewältigung psychischer Belastungen helfen?

Empirische Studien zur kreativen „Selbsttherapie“

Schaut man auf die Effekte der Kreativtherapie auf das Wohlbefinden, Stresslevel und andere psychische Beeinträchtigungen, stellt sich die Frage, ob auch durch den eigenen Umgang mit kreativen Aktivitäten eine psychische Entlastung zu erwarten ist. Auch hier gibt es einige Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kamen. Ein Beispiel: In einer Studie von Tamlin Conner und ihrem Team wurde 2016 der tägliche Umgang mit kreativen Aktivitäten als mögliches Mittel zur Steigerung des psychischen Wohlbefindens gemessen. In der Tagebuchstudie waren die 658 jungen Erwachsenen dazu angehalten, täglich über ihr Wohlbefinden und ihre kreativen Aktivitäten am jeweiligen Tag zu berichten. Die Auswertung zeigte: Je länger die Teilnehmer:innen sich kreativen Tätigkeiten zuwandten, desto zufriedener fühlten sie sich am darauffolgenden Tag – also ein Indiz für die These, dass tägliche Kreativität ein Mittel sein kann, das psychische Wohlergehen zu erhalten.

Ein Paradebeispiel: Das psychische Empfinden Goethes

Die These, dass man sich durch kreative Beschäftigung gewissermaßen selbst therapieren kann, wird schon seit längerem diskutiert. Gerade durch die biografische Untersuchung einzelner Persönlichkeiten können Ansätze wie dieser gestützt werden. Ein populäres Beispiel für die eigens und „unbewusst“ durchgeführte Therapie anhand von kreativem Ausdruck ist der Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Goethe hatte sein Leben lang mit seiner Psyche zu kämpfen. Aufschluss darüber geben zahlreiche Dokumente, darunter Briefe und weitere schriftliche Ausführungen von Goethe selbst, in denen er einen genauen Überblick über seinen psychischen Zustand im Laufe seines Lebens gibt. Schon mit 14 Jahren litt Goethe unter seiner ersten depressiven Episode. In seiner Autobiografie beschreibt er, dass er das Interesse an allem, was ihm zuvor Spaß machte, verlor und mit Gedanken, sich selbst zu verletzen, zu kämpfen hatte. Diese depressiven Episoden kamen im Laufe seines Lebens immer wieder auf. Zudem wurde Goethe von zahlreichen Angststörungen geplagt. Er fürchtete sich vor allem vor Höhe und hatte große Angst vor der Dunkelheit, insbesondere an verlassenen Orten. Zusätzlich fürchtete er sich in großem Maß vor Lärm und Verschmutzungen aller Art. Auf die hier beschriebenen Reize reagierte er mit übermäßiger Angst und Panikattacken.

Goethes „Selbsttherapie“

Trotz dieser großen Last an psychischen Beeinträchtigungen, oder vielleicht gerade deshalb, entwickelte sich Goethe zu einem der bedeutendsten deutschen Dichter:innen. Er wollte sich seinen Ängsten und negativen Gefühlsempfindungen nicht einfach hingeben, sondern unternahm ganz bewusst verschiedene Maßnahmen, um sich selbst zu therapieren. Neben seiner bewussten Konfrontation mit seinen Ängsten, lag die vermutlich größte Stütze im Kampf gegen seine Psyche in ihm selbst und seiner ausgeprägten Kreativität. Indem Goethe sich zunächst mit seinen Vertrauten über seinen Gefühlszustand austauschte, konnte er seine Emotionen besser ordnen. So war er in der Lage, sie zu verbalisieren und zu verarbeiten. Schon in seiner Jugend merkte er, dass ihm das in Worte fassen seiner Empfindungen half, mit diesen umzugehen. Er gab seinen Gefühlen einen kreativen Rahmen und nutzte seine künstlerische Tätigkeit dazu, die Störung seines Gefühlslebens zu bewältigen. Auf diese Weise entstand beispielsweise sein Werk „Die Leiden des jungen Werthers“, in dem er seine unerwiderten Liebesgefühle und die damit verbundenen Suizid-Gedanken verarbeitete. Goethe selbst sagt später, dass er sich nach Fertigstellung seines Werkes deutlich besser und ausgeglichener fühlte.

Ein möglicher Widerspruch

Sowohl das Beispiel Goethes, als auch die Studien zeigen, dass kreative Aktivitäten durchaus beim Umgang mit psychischen Belastungen helfen können. Dennoch gibt es bei der Verbindung der Punkte „Kreativität“ und „Psychische Gesundheit“ ein Paradoxon: Kommt es einem nicht so vor, als wären gerade die größten Genies und Künstler:innen der vergangenen Generationen diejenigen, die am häufigsten mit psychischen Problemen zu kämpfen haben? Bis heute spielt ein möglicher, positiver Zusammenhang zwischen Kreativität und psychischen Störungen besonders in Werken der Literatur, der Künste und der Musik eine große Rolle. Noch immer ist die Vorstellung des/der „verrückten Künstler:in“ populär, und spiegelt sich besonders in der Popkultur auf vielfältige Weise wider. In der Literatur, aber auch in Filmen wird die Bösewichtrolle oft den überdurchschnittlich kreativen, aber auch verrückten Wissenschaftler:innen zugeordnet, Beispiele hierfür sind Rollen des Dr. Jekyll und Dr. Frankenstein. Doch auch in der Musik- und Filmbranche kommt es nicht selten zu Schlagzeilen über Drogen- und Alkoholexzesse, die mit den künstlerischen Leistungen fast Hand in Hand zu gehen scheinen. Wie diese beiden widersprüchlichen Zusammenhänge aber zueinander passen, konnte bislang nicht wirklich geklärt werden. Die Forschung ist an dem Thema dran, allerdings bislang ohne große Erkenntnisse. Die Verbindung von Kunst und psychischen Erkrankungen bzw. dessen Behandlung bleibt auf alle Fälle ein spannendes Thema, das nach wie vor eine hohe Relevanz hat und viel Potenzial birgt.